Eine böse Geschichte
Und was kann der Ort dafür?
Das Haus, in dem Adolf Hitler am 20. April 1889 geboren wurde, hat eine bewegte Geschichte. Sowohl Eigentümer*innen als auch Nutzungskonzepte wechselten mehrmals im Lauf der letzten 100 Jahre. Seit Oktober 2011 steht das Haus, das bis zur Enteignung durch die Republik Österreich im Jänner 2017 in Privatbesitz war, leer.
In seinem momentanen Zustand wird das Haus einerseits mit der verbrecherischen NS-Geschichte und der Person Hitlers assoziiert und ist damit Anziehungspunkt für Alt- und Neunazis. Andererseits ist es Teil eines denkmalgeschützten städtebaulichen Ensembles im Stadtkern von Braunau, aus dem heraus es für Besucher*innen nicht oder nur schwer identifiziert werden kann. Nicht wenige Tourist*innen erkundigen sich daher bei den Einheimischen nach dem Standort des Objekts.
Die Inszenierung Braunaus als Geburtsort Hitlers durch die Nazis wirkt bis heute auf einer internationalen Ebene fort. Journalist*innen kommen mit der Vorstellung in die Stadt hier Beweise für eine überforderte Kleinstadt sowie für die Umtriebigkeit von Neonazis vorzufinden. Auch die Auseinandersetzung um den Umgang mit dem Geburtshaus läuft hauptsächlich über die Medien und kaum jemand interessiert sich dafür, was die Präsenz des Hauses tatsächlich im alltäglichen Leben der Braunauer*innen bewirkt. Ein lokaler Diskursprozess wird seit den 1990er Jahren vom Verein für Zeitgeschichte initiiert und angetrieben.
Mit dieser Entwurfsaufgabe möchten wir keine weiteren Nutzungsideen für das Haus selbst entwickeln. Wir interessieren uns für die Verknüpfung eines Ortes mit einer negativen, verbrecherischen Geschichte. Am Beginn unserer Auseinandersetzung stehen deshalb erst einmal viele Fragen:
Welche Erlebnisse, Erfahrungen, Geschichten und Vorurteile begegnen uns, wenn wir mit den Einwohner*innen über die Stadt Braunau sprechen?
Was bedeutet die Verbindung zwischen Hitler und seiner Geburtsstadtder Stadt Braunau – heute für seine Bewohner*innen?
Wie kann ein Reflexionsprozess in Gang gesetzt werden, der auch die junge Generation anspricht?
Welche Methoden gibt es, um mit den Menschen vor Ort zu arbeiten?
Was hat all das mit Architektur zu tun?
Welche Informationen brauchen Architekt*innen abseits von Raumprogramm und gestalterischen Zielformulierungen, um auf eine gesellschaftspolitisch brisante/polarisierende Frage antworten zu
können?
Welche Schritte sind (noch) notwendig, bevor eine konkrete, räumlich und materiell manifestierte Antwort/Lösung gegeben werden kann?
Welchen Beitrag können Architekturschaffende aufgrund ihrer gestalterischen und räumlichen Expertise für eine gesellschaftspolitische Fragestellung, in der sich Ort und Geschichtspolitik verknüpfen, leisten?
Die Verknüpfung von Objekt, Umfeld, Geschichte, Stadt und Menschen, das Arbeiten vor Ort, das Arbeiten mit der Erinnerung und die Wahrnehmung von Raum sowie die Selbstwahrnehmung im Raum standen im Zentrum des Lernprozesses.